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Allgemein- und Viszeralchirurgie, Thoraxchirurgie und Proktologie

2. Hereditary non-Polyposis colorectal Cancer HNPCC (Lynch Syndrom I und II), Muir-Torre Syndrom und Morbus Cowden

2. Hereditary non-Polyposis colorectal Cancer HNPCC (Lynch Syndrom I und II), Muir-Torre Syndrom und Morbus Cowden

Die HNPCC wird autosomal dominant vererbt, sie führt zu einer zahlenmäßig schwachen Kolon-Polyposis. HNPCC oder Lynch-Syndrom I, ist repräsentiert durch die Entwicklung von kolorektalen Karzinomen im Alter von durchschnittlich 45 Jahren. Die Grundlagen für die klinische Diagnostik gehen auf die Stammbaumtafeln von Warthin 1913 zurück, die von Lynch exemplarisch zum Syndrom ausgearbeitet wurden. Die Inzidenz der HNPCC von allen kolorektalen Karzinomen ist anhand von epidemiologischen und gentischen Studien auf 0,5–13% beziffert worden. Genauere retrospektive Daten aus nationalen Krebsregistern mit Genanalyse-Ergebnissen zeigen eine sichere Inzidenz von mindestens 2%. Diese Zahl wird vermutlich nach oben korrigiert werden können, wenn die Zahl der getesteten mutierten Mismatchrepairgene von den typischen Mutationen auf MSH2 und MLH1 auf die anderen seltener mutierten Gene ausgeweitet wird und die Zahl der Primer pro mutiertes Gen erhöht wird. Eine genaue Festlegung der echten Inzidenz ist wichtig, da im Alter von 75 Jahren das Risiko, ein Karzinom zu haben, 80% beträgt. Die HNPCC liegt mit einer Häufung von 1:2.000 Geburten deutlich über der Inzidenz der klassischen FAP; die Penetranz der Erkrankung beträgt etwa 80-90%. Im Widerspruch zur Nomenklatur sind nach unterschiedlichen Angaben in 17-50% der Fälle von HNPCC Adenome im Kolon nachweisbar, die vorwiegend im proximalen Kolon und im C.transversum beobachtbar sind. Der bestehende mismatch-repair-Gen Defekt der HNPCC führt zunächst zu einer Akkumulation von Mutationen in sporadischen Mikroadenomen, woraus verstärkt Adenomdysplasien resultieren, die zur malignen Transformation überleiten können. Lynch et al. beschreiben die bei der HNPCC vorliegenden Adenome als möglicherweise aggressiver und dysplasiefreudiger als die der klassischen FAP. Das Lynch I Syndrom beschreibt den weitgehend intestinal beschränkten Symptomenkomlex des HNPCC. Das Lynch II Syndrom wird ergänzt durch weitere mögliche Neoplasien in den Nieren, dem Urothel, dem Magen, den Ovarien und dem Endometrium. Das Pankreas, die Gallenwege und die Papilla vaterii sind ebenfalls zufällig häufig durch Polyposis- und Karzinombefall betroffen. Plattenepithelkarzinome der Haut und die Entstehung von Leukosen sind weitere seltene Malignome des Lynch II Syndroms. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Symptomkombinationen formuliert die International Collaborative Group on HNPCC eine Reihe klinischer Bedingungen, welche die Voraussetzung zur Diagnosestellung eines Lynch Syndrom bilden sollen (Amsterdam Kriterien). Zur Diagnostik müssen die Amsterdam-Kriterien erfüllt sein und Polyposis-Syndrome ausgeschlossen sein. Damit kleine Familien oder schlecht nachvollziehbare Stammbaumverhältnisse bei frühzeitiger Karzinomerkrankung nicht fälschlich verloren gehen und dann nicht der HNPCC-Überwachung unterliegen, wurden weitere Kriterien aufgestellt (modifizierte Bethesda-Kriterien), die eine HNPCC äußerst wahrscheinlich machen. Genetik
Stammzell-Mutationen wurden vorwiegend in fünf Genen gefunden, die als DNS nucleotid mismatch repair Gene fungieren: MSH2, MLH1, PMS1, PMS2, MSH6/GTBP. In der Mehrzahl der Fälle wurden Mutationen im MSH2 und MLH1 Gen bei HNPCC Patienten beschrieben. Aufgabe dieser Gene ist die Erfassung und Korrektur von Replikationsfehlern in der DNS-Nukleotid Kette; die Malfunktion der Gene führt zu Replikationsfehlern und zu genetischer Instabilität. Die Replikationsfehler lassen sich in den Tumoren relativ einfach nachweisen. Fällt die Diagnose positiv aus, wird der Tumor als „replication error positiv“ beschrieben (RER+). Dieses Phänomen findet sich bei über 90% der HNPCC Patienten. Der Nachweis der Mismatch repair Gen-Funktion/Dysfunktion zusammen mit der Mikrosatelliten-Instabilität ergibt die Indikation zur weiteren Chromosomenanalyse oder zum verwerfen des HNPCC-Verdachts. Screening
Die Untersuchungen beginnen für die Familienangehörigen 10 Jahre früher als der früheste Diagnosezeitpunkt eines kolorektalen Karzinoms, mit mindestens zweijähriger Wiederholung. Frauen in HNPCC Familien sollten beginnend mit dem 18. Lebensjahr alle 1-3 Jahre gynäkologische Untersuchungen veranlassen. Ab dem 25. Lebensjahr müssen diese Untersuchungen jährlich erfolgen, mit gynäkologischer Untersuchung, Endometrium-Biopsie und endokavitärem Ultraschall. Diese Untersuchung sollte für HNPCC-Gen-Träger/-innen Pflicht sein, ebenso wird sie empfohlen für Patienten mit nur 50-prozentigem Risiko an HNPCC erkrankt zu sein (laut Stammbaumanalyse). Eine jährliche Urinzytologie sollte ebenfalls ab dem 25. Lebensjahr erfolgen.

  • Auswahl der Patienten für das Screeningprocedere: bei kolorektaler Neoplasie/anderer Primärtumor vor dem 45. Lebensjahr. Erfassen der Familienanamnese, Überprüfen der Amsterdam-Kriterien und der Bethesda-Kriterien. Wenn Familenanamnese negativ: Vorsorgeuntersuchung wie bei sporadischem kolorektalen CA. Wenn Amsterdam-Kriterien erfüllt: Sequenzanalyse veranlassen und Screeningprogramm für die Familie starten. Wenn Bethesda-Kriterien erfüllt: erreichbares histopathologisches Material auf Mikrosatelliteninstabilität überprüfen. Wenn RER+-Material gefunden wird, sollten die typischen Mismatchrepairgene MSH2 und MLH1 mit Markern getestet werden. Danach folgt die Sequenzierungsanalyse und bei Mutationsnachweis die Aufnahme des Screeningprogramms.

Eine nahe Verwandschaft zwischen dem Lynch II Syndrom besteht zum Muir-Torre Syndrom, welches eine Variante des HNPCC darstellt und sehr selten ist. Lynch und Fusaro wiesen die Beziehung dieser Erkrankung zum Lynch Syndrom nach, und beschrieben die über das HNPCC hinausgehenden Symptome des Muir-Torre Syndroms. Die Verwandtschaft des Muir-Torre Syndroms zum Lynch II Syndrom besteht in der in beiden Fällen vorliegenden proximalen Kolonadenomatose sowie der erhöhten Inzidenz früh auftretender proximaler Karzinome des Kolons, des Duodenums, des Endometriums des Urogenitaltraktes und ebenfalls des Larynx, Neben diesem, ebenso wie bei den meisten hereditären Polyposen bestehenden erhöhtem Risiko zur Ausbildung von Kolonkarzinomen, existiert beim Muir-Torre Syndrom typischerweise eine Häufung von multiplen Hautläsionen, welche mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen der vierten bis sechsten Lebensdekade auftreten. Diese charakteristischen Dermatosen sind gelbliche, papulöse schuppende Hautläsionen mit bevorzugter Lokalisation im Gesicht- und Kopfbereich. Der Hautbefall ist charakteristischerweise seborrhoischer Natur und tendiert zur Entwicklung von Keratoakanthomen und semimalignen Basaliome. Ähnliche Symptome wie das zuvor genannte Muir Torre Syndrom weist der Morbus Cowden auf. Jedoch ist das Erscheinen der dermatologischen Stigmata bereits vor dem 10. Lebensjahr regelhaft. Typisch sind veruköse und orale Papeln. Polypen sind meistens klein, hamartomatös und haben nur eine dünne Schicht normaler Mukosa über den Proliferationen. Diese seltene Polypose ist verbunden mit Mamma-Karzinomen, Schilddrüsen-Karzinomen, Ovarialzysten und anderen gastrointestinalen Polypen. Das Risiko einer malignen Entartung in den Kolonpolypen wird als vernachlässigbar betrachtet. Die Mutation ist auf dem PTEN-Gen auf Chromosom 10 lokalisiert (10q22, BMPR1A), es gibt überschneidende Bereiche mit dem JP1-Abschnitt der juvenilen Polyposis. Chirurgische Therapie
Bei Nachweis eines Kolon-Karzinoms bei einem HNPCC-Risiko-Patienten oder bei Nachweis der HNPCC-typischen Mutationen und der Entwicklung eines Kolon-Karzinoms, muss in jedem Fall eine radikale onkologische Entfernung des betroffenen Darmabschnitts erfolgen. Die subtotale Kolektomie kann in prophylaktischer Intention mit dem Patienten abgestimmt werden, da sich das Risiko eines metachronen Karzinoms innerhalb der folgenden Jahrzehnte reduzieren lässt. Das Risiko der Mastdarmkrebs-Entwicklung bleibt jedoch bestehen, daher sind jährliche endoskopische Kontrollen zwingend. Handelt es sich bei dem beschriebenen Patientenkreis um Patienten mit Entwicklung von Adenomen, sollten diese in jedem Fall entfernt werden. Sind diese zahlreich oder ist die komplette Entfernung der Adenoma nicht garantiert, ist auch hier die subtotale Kolektomie in prophylaktischer Intention gerechtfertigt. Die jährliche Koloskopie mit Polypektomie ist eine Alternative, wobei eine endgültige Richtlinie derzeit noch nicht existiert. Da auch bei HNPCC-Familien Rektumkarzinome nachgewiesen wurden, ist in diesen Fällen die Kolektomie mit Proktomukosektomie und ileoanalem Pouch gerechtfertigt. Die prophylaktische Kolektomie ist wegen der nicht vollständigen Penetranz der Erkrankung derzeit noch umstritten und bleibt Hochrisiko-Patienten, Genträgern bzw. Patienten mit vollständiger Krankheitseinsicht vorbehalten. Vorgehen bei Karzinomen außerhalb des Dickdarm-Bereichs
Bei HNPCC positiv getesteten Frauen kann ab dem 40. Lebensjahr wegen des hohen Risikos der Endometrium-Karzinomenentwicklung die bilateralen Salpingo-Oophorektomie mit Hysterektomie geraten werden. Dies ist im Verdachtsfall nicht zulässig. Das Risiko für eine Endometriumkarzinom-Entwicklung beträgt 60%/Lebenszeit. Das Risiko ist bei MSH2, und MLH1 Mutationträgern hoch, bei MSH6 noch mehr, der Altersgipfel liegt bei 40-62 Jahre, früher als bei sporadischen Endometrium-Karzinomen. Das Grading der Tumore ist meistens schlechter, es besteht eine hohe Lymphknoten-Metastasierungsrate, G3-4, L1 und V1 ist häufig. Das Risiko für ein Ovarial-CA beträgt ca. 12% kumulatives Risiko/ Lebenszeit. Bei postmenopausalen Frauen kann die o.g. Operation im Rahmen einer OP wegen eines Dickdarmkrebses zeitgleich erfolgen. Postoperative Nachsorge Der HNPCC-Patient und Blutsverwandte sollten nachfolgende Untersuchungen jährlich absolvieren: Koloskopie, Gastroskopie ab 35. Lebensjahr, Urinzytologie, Gynäkologische Untersuchung mit vaginaler Sonographie, und Endometriumbiopsie ab dem 35.Lebensjahr, Abdomen-Sonographie, körperliche Untersuchung.